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Was anders wäre, wenn wir Meister auf dem Niveau der klassischen indischen Maler wären

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Rietbergmuseum Eingang zur Ausstellung indischer Meistermaler

Rietbergmuseum Eingang zur Ausstellung indischer Meistermaler

Notizen und Synthesen aus einem Besuch der Sonderausstellung “Der Weg des Meisters” über indische Malerei von 1100 bis 1900 im Rietbergmuseum Zürich

Was wäre anders, wenn wir Heutigen von den Meistern der klassischen indischen Kunst lernen könnten (oder die anders wären, wenn wir ihre Meisterschaft hätten):
In unsere Arbeit stecken wir sehr viel Zeit, Hinwendung und Aufmerksamkeit: Die Exponate sind fast alle Miniaturen oder diesen sehr nahe; selbst die grossflächigeren der neueren und jüngeren Epochen sind diesem Stil verpflichtet. Die Miniaturen sind ausgestaltet bis ins kleisnte Detail, das nur noch mit einer Lupe erkennbar ist. Selbst der Hintergrund des Hintergrunds wirkt noch plastisch und durchleuchtet mit einer unglaublichen Fülle und Lebendigkeit. Die Werke enthalten jede Menge Zeit des Künstlers. 

Meisterschaft zeigt sich im Detail, nicht im grossen Wurf. Der Meister war für die Skizzen und für das Ausfüllen der kleinen Flächen zuständig. Die grossen Flächen der Miniaturbilder malten die einfachen Schüler und Auszubildenden. Die Skizzen wiederum hatten ihre Grundlagen in den Traditionen der jew. Kunstschulen. Schliesst man aufgrund dessen, dann waren Detailliertheit, Präzision, Lebenstreue und Beseeltheit die Kriterien hoher Kunst. Grosse Würfe und Strukturen waren Sache für Anfänger.

Es geht nicht um Geschick oder Kunstfertigkeit, sondern um Lebendigkeit: Die grossen Flächen malten die Auszubildenden. Ganz am Ende jedoch malte der Meister die Augen der Figuren aus und erweckte so das Bild zum Leben. In diesem Detail steckt die Seele des Bildes.

Meisterschaft bedeutet Bescheidenheit. Meisterschaft ist nicht mit Ruhm und Bekanntheit verbunden. Die Signaturen der Meister sind oft so versteckt, dass sie nur mit Lupe oder gar Mikroskop aufzufinden sind. Viele Werke lassen sich nur durch Detektivarbeit einer Schuler oder gar einer Person zuschreiben.

Meisterschaft bedeutet Beseeltheit. Es geht nicht in erster Linie, ein Handwerk oder eine Kunstfertigkeit perfekt auszuführen. Präzision und Detailreichtum zeigen Fähigkeiten des Malers. Aber die Lebensnähe und Beseeltheit zeigt, wie er der Welt verbunden ist und damit wieder Menschen (Auftraggeber wie Bewunderer) beeindruckt.
Individualität und Besonderheit sind nicht wichtig, sondern die gute Kenntnis der Meister, auf denen wir aufbauen und wie wir uns in ihre Werke vertiefen. In der klassischen Zeit (um das 12. Jh.) begann man mit dem Kopieren heiliger Texte: Die Sorgfalt der Kopie, der Nachahmung galt als spirituelle Übung. Wie gut wir uns an unsere Vorbilder und überlieferte Muster halten stellt den Wert dar, nicht die Abweichung. 

Wir beweisen Meisterschaft, Formenreichtum und wirkliche Offenheit durch die Kenntnis und Aufnahme anderer Disziplinen. Es gab mindestens im 17. Jh. bereits Intermedialisten, also Maler, die zum Beispiel Ragas als Inhalte ihrer Bilder genommen haben, ähnlich wie Paul Klee Musik in Bilder umsetzte. Ein solches Beispiel ist der Maler Nasiruddin um 1605 (dessen Name mich an sufitische Mystiker erinnert).

Wir lösen neue Probleme und Chancen neuer Möglichkeiten, indem wir beweisen, dass wir die alten Werte wirklich kennen. Im 19. Jh. werden die Flächen der Bilder grösser und damit auch das Problem, wie man mit den neuen Möglichkeiten umgeht. Vorher waren grosse Flächen Sache der Anfänger. Noch immer sind Miniaturen der Kern der Abbildung. Nun jedoch stellen sich neue Kompositionsprobleme. Der Künstler Tara löst dies mit Rückgriff auf eine andere Kunst und füllt den Raum mit architektonischen Formen und Rhythmen.

Wir sind offen für Neues und fügen es unserer Formsprache hinzu. Ende 19. Jh. hält ein neues Medium Einzug, die Fotografie. Pastiches werden geschaffen, indem man Fotos übermalt. Künster, die dies beherrschten, waren zum Beispiel Mohanlal und Shivalal aus der 2. Hälfte 19. Jh.

Wir arbeiten in festen sozialen Strukturen: Die Maler sind in Gruppen und Schulen an Höfen angestellt, arbeiten für Aufträge der Wohlhabenden und haben vermutlich viele enge Austausch- und Kommunikationsbeziehungen untereinander.

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